Buchbesprechung von Martin Schwarz
am 15. April 2008
Mit der Kommentierung des Brahmasutra wird die Reihe der wichtigen Kommentare der Grundtexte des Advaita Vedanta fortgesetzt. Wie René Guénon geschrieben hat, ist der Text der Brahma-Sutras von extremer Dichte und gründet sich »direkt und ausschließlich auf den Upanischaden« (L´homme et son devenir selon le Vêdânta, Paris 1952, S. 22), nur die Verständnisschwierigkeiten aufgrund der komprimierten Ausdrucksweise haben manche Interpreten fälschlich dazu verleitet, etwas anderes zu finden »als eine autorisierte und kompetente Interpretation der traditionellen Doktrin« (ebd.). Wie man sieht, ist eine Aufschlüsselung dieses Textes durch einen verlässlichen Autor gerade für den westlichen Leser sehr wichtig, und dafür gibt es heute keinen kompetenteren als Raphael.
Das Brahmasutra ist der vielleicht schwierigste Text der vedischen Tradition (d.h. der auf den Veden basierenden Tradition). Die Verständnisschwierigkeiten sind enorm, der Text erinnert geradezu an vorsokratische Fragmente, er ist darüber hinaus für unterschiedliche Perspektiven offen, wie ja insgesamt »Veden und Upanischaden einen Komplex aus doktrinalen Spekulationen bilden, in dem dualistische, monistische und nicht-dualistische Auffassungen zu finden sind; sie untersuchen mit anderen Worten aus unterschiedlichen Bewusstseinspositionen die Natur des Seins und des Nichtseins (Werden). Daher bilden sie keine geschlossene Philosophie, sondern sind offen für verschiedene Erkenntnisaspekte, abhängig von der Sichtweise jedes einzelnen Forschers.« (S. 45)
Die hier vorliegende Übersetzung des Textes und vor allem des ausführlichen Kommentars von Raphael folgt Sankara, der die Ungeteiltheit (Advaita) des Seins oder einen nicht-qualifizierten Monismus vertreten hat. Sankaras Kommentar selbst ist vom Asram Vidya (Zentrum des Wissens) bisher nur in italienischer Übersetzung veröffentlicht worden.
Wenn das Brahmasutra mit Raphaels Kommentar jetzt auf deutsch in der gewohnten Qualität und in ähnlicher Form nach den Bänden Drigdrisyaviveka, Mandukyakarika, Bhagavadgita, Vivekacudamani und Yogadarsana erschienen ist, so kann man auch empfehlen, zumindest einen dieser veröffentlichten Bände zuvor gelesen zu haben; am besten geeignet ist wohl das Vivekacudamani von Sankara, am leichtesten zugänglich vermutlich die Bhagavadgita. Für den völligen Neuling empfiehlt sich überhaupt als erstes ein Einführungsbuch von Raphael, z. B. Jenseits der Illusion des Ich oder Tat Tvam Asi – Das bist du, denn der Brahmasutra-Kommentar verlangt dem Leser doch einiges ab.