Es gibt nur eine Wirklichkeit
Die spirituelle Überlieferung bot stets zwei Anschauungen des Göttlichen: eine mit Attributen oder formalen Eigenschaften (saguna) und eine ohne Form und ohne irgendein spezifisches oder persönliches Attribut (nirguna). Sie betrachten die Wirklichkeit-an-sich auf zwei Ebenen.
Die saguna-Wirklichkeit entspricht dem himmlischen Vater, der uns als Schöpfer das Leben schenkt, dem Gnadenspender, den wir anrufen, lieben und oft fürchten, Ihm, der alle Formen oder Zusammensetzungen des Lebens erschafft, erhält und umformt, dem Gesetzgeber, der die höchsten Eigenschaften, die sich der Mensch vorstellen kann, in sich vereinigt. In Ihm bewegen wir uns, in Ihm existieren und sind wir.
»Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.« (Matthäus 5, 48)
Die nirguna-Wirklichkeit entspricht dem nicht-formalen Prinzip ohne Attribute, Eigenschaften oder Benennungen. Sie ist die Wurzel oder das Fundament des ganzen Existenten. ... und repräsentiert das Absolute ohne Ausnahmen, das Eigenschaftslose, das Beständige, das Unveränderliche und die Konstante.
Wenn die saguna-Wirklichkeit das Manifeste auf grobstofflicher, feinstofflicher und kausaler Ebene ist, dann ist die nirguna-Wirklichkeit das Nicht-Manifeste, was sich jenseits des »Natur«- Bereiches befindet.
Wenn die saguna-Wirklichkeit das Sein ist, das als Vielheit erscheint, dann ist die nirguna-Wirklichkeit das Nicht-Sein. Da diese Wirklichkeit keine Attribute besitzt, kann sie nur in Begriffen der Negation betrachtet werden, in dem Sinn, dass all jene Bezeichnungen oder Bestimmungen, die der saguna-Wirklichkeit angehören, in ihr verneint werden. ...
Wenn saguna die anfängliche und prinzipiale Bewegung darstellt, dann repräsentiert nirguna das Nicht-Bewegte, den wahren »unbewegten Beweger«, der alles aufrechterhält.
Manch einer könnte denken, dass zwei Wirklichkeiten existieren. Doch dies würde bedeuten, dass die Dualität oder Vielheit absolut ist, was absurd ist. Es gibt also nur eine einzige Wirklichkeit, die einmal unter dem Aspekt des saguna und ein anderes Mal unter dem Aspekt des nirguna gesehen wird.
© Asram Vidya Februar 2017
siehe Raphael, Yoga – Initiationswege zum Transzendenten
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