Meditationssamen – Archiv

April 2005

Kontemplation des Handelns

Eines Morgens beim Aufwachen nimmst du dir etwas vor: »Heute werde ich dies oder jenes tun.« Am Abend aber stellst du fest, dass sich dein Vorhaben in Luft aufgelöst hat.
Warum?

Wenn du ein einziges Bewusstsein bist, ein einziger Wille ohne einen zweiten, wenn du eine einzige Intelligenz bist, ist es absolut unmöglich, dass dein Entschluss von jemand anderem oder von etwas Nichtexistenten durchkreuzt wird. Wenn du von deinem Vorhaben abgebracht worden bist, heißt das, dass du nicht allein, dass du keine Einheit bist. Es bedeutet, dass es in dir ein Zweites gibt, das in Widerspruch zu dir ist: Ihr seid zu zweit. Und wer von euch beiden bestimmt? Wer ist es, der in Wirklichkeit entscheidet? Wenn ihr zu zweit, zu dritt oder zu viert seid, kann es keine Einheit in der Verständigung geben. Wenn vielfältige, zwieträchtige Stimmen dein Bewusstsein vereinnahmen, befindest du dich in tiefem Konflikt, dann wirst du vom tausendköpfigen Ungeheuer zerfleischt.

Wenn du dir eines Morgens beim Aufwachen vornimmst, etwas zu tun, was du dann nicht tust, bist du noch nicht aufgewacht.

Du ergötzt dich zu sehr daran, Gedanken, Ideen und Vorstellungen zu erzeugen. Achtung! Du bist dabei, dir ein dichtes Spinnennetz zu weben, das dich früher oder später gefangennehmen, beherrschen und vergewaltigen wird.

Wenn du am Abend staubbedeckt und müde heimkehrst, habe den Mut, dir alle Alibis einzugestehen, die sich dein Ich geschaffen hat, um der Gefahr zu entfliehen, sich auflösen zu müssen. Das Ich drängt gierig nach Stützen. Frage dich am Abend: Um wieviele Stützen habe ich gebettelt?

Das Ich verwendet Schmeicheleien, bedient sich der Eitelkeit und nutzt den in Samt gehüllten Stolz. Eine seiner vielen »Aufmerksamkeiten« ist es, sich nützlich, unersetzbar und wichtig zu fühlen. Es gibt kein Ich, das nicht im Namen eines Ideals, einer Ethik, einer Philosophie spricht. Merkwürdigerweise gelten diese Dinge jedoch stets für die anderen und nie für es selbst.

Aber im Ernst: Wer die Absicht hat, sich mit den eigenen Händen das Grab zu schaufeln, hat keine Zeit, sich für Diesen oder Jenen zu halten, hierhin oder dorthin zu gehen, nutzlose und ungeeignete Stützen zu erbetteln oder nach ausgleichenden Alibis zu suchen.

© Asram Vidya April 2005

aus Raphael, Die Quellen des Lebens


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